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24.04.2024
Am 21. April 2024 wäre der Rostocker Ehrenbürger Yaakov Zur 100 Jahre alt geworden.

Yaakov Zur wurde 21. April 1924 als Alfred Jacques Zuckermann in Rostock geboren. Der Vater Heinz Zuckermann betrieb ein Konfektions- und Schuhgeschäft in der Langen Straße. Die Eltern ließen ihren Kindern eine betont jüdische, aber moderne Erziehung zuteilwerden. Ab 1933 war die Familie verstärkt antisemitischer Ausgrenzung und zunehmender Verfolgung ausgesetzt. So wurde am 10. November 1938 im Zusammenhang mit dem Novemberpogrom das väterliche Geschäft verwüstet und der Vater in „Schutzhaft“ genommen. Nach der Entlassung des Vaters aus der Haft entschied sich die Familie zur Flucht nach Palästina, die dem 15-jährigen Alfred gemeinsam mit seinen Brüdern und dem Vater 1939 gelang. Die Mutter und die jüngere Schwester blieben zurück. Die Familie ging davon aus, dass ausschließlich Männer Restriktionen im Nationalsozialismus zu befürchten hatten. Mutter und Schwester lebten noch bis 1942 im sogenannten „Judenhaus“ in der

Altschmiedestraße. Am 10. Juli 1942 wurden Perle Zuckermann (1897-1942) und Ruth Zuckermann (1931-1942) nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

In Palästina besuchte Yaakov Zur eine Landwirtschaftsschule, arbeitete mit Shoah-überlebenden Waisenkindern und half beim Aufbau des Staates Israel. Er war einer der Mitbegründer des religiösen Kibbuz‘ Ein Hanatziv, heiratete und gründete eine Familie. 1961 begann er ein Studium der Geschichte an der Universität Jerusalem und wurde anschließend Lehrer und Direktor an der Distrikt-Kibbuzschule. 1982 promovierte er an der Universität Tel Aviv und lehrte fortan als Dozent für moderne jüdische Geschichte an der Bar Ilan Universität in Ramath Gan. Seine Tätigkeit als Dozent führte ihn zu Forschungszwecken und Vorträgen in die USA und nach Europa. Seit Beginn der 1980er Jahre wirkte Yaakov Zur als Lehrer für jüdische Religion und Geschichte in Seminaren der evangelischen Kirche in der Bundesrepublik.

Angeregt durch einen Artikel in der Rostocker Tageszeitung „NNN“ zur Geschichte der Rostocker jüdischen Gemeinde, kam er erstmals 1987 wieder in seine Geburtsstadt. Der junge Historiker Frank Schröder forschte und veröffentlichte zur Geschichte der jüdischen Gemeinde und ihren Mitgliedern, u.a. auch zum Schicksal von Perle und Ruth Zuckermann in der Zeitung. Zuerst auf Einladung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche und wenig später auf offizielle Einladung des Oberbürgermeisters Henning Schleiff besuchte Yaakov Zur in der Endphase der DDR die Stadt. Als israelischer Historiker und Kibbuznik sprach er in dieser Zeit in Kirchgemeinden, beim Kulturbund, bei den Stadtarchiven in Rostock und Schwerin, der LPG Neubukow sowie der Humboldt-Universität zu Berlin über Israel, religiösen Sozialismus, seine Familiengeschichte, Judenverfolgung und die Nazi-Diktatur. Er erreichte mit seinen Vorträgen und Gesprächen mehr als 10.000 Menschen.

Yaakov Zur trug in der DDR wesentlich zum Verständnis für Israel und die Lebenssituation seiner Bürger bei. Er gab der Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte in der DDR wichtige Impulse. Frank Schröder, langjähriger Leiter des Max-Samuel-Hauses, beschrieb Yaakov Zurs Wirkung in seinem Buch „Die Welt ist eine schmale Brücke. Yaakov Zur – ein Israeli aus Rostock. Erinnerungen und Begegnungen“ folgendermaßen: „Mit seiner Art, über Geschichte und Gegenwart zu sprechen, mit der Fähigkeit, sowohl als persönlich Betroffener wie auch als differenzierender und einordnender Historiker zu berichten, mit seiner umfassenden Bildung und Weltoffenheit, mit seinem Zugehen auf Menschen setzte er bei vielen seiner Zuhörer und Gesprächspartner im Denken und Handeln etwas in Bewegung, wie ein ins Wasser geworfener Stein, der Wellen erzeugt, die immer weitere Kreise ziehen.“
Seit dieser Zeit war Yaakov Zur für die weitere Entwicklung der Hanse- und Universitätsstadt Rostock nicht mehr wegzudenken. So gehörte Yaakov Zur 1991 zu den Mitbegründern der Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock „Max-Samuel-Haus“ und über viele Jahre dem Stiftungsvorstand an. Er besuchte Rostock häufig und war als Zeitzeuge eine moralische Instanz für die Stadt Rostock, die Zivilgesellschaft und die Universität. Für seine Verdienste um das Gemeinwohl der Stadt erhielt er 1993 die Ehrenbürgerwürde der Hanse- und Universitätsstadt Rostock. 1998 ehrte ihn die Universität Rostock mit der Ehrendoktorwürde.
Yaakov Zur starb am 29. Oktober 2013 im Kibbuz Ein Hanatziv im Jordantal.

Anlässlich des 100. Geburtstages zeigt das Max-Samuel-Haus den Film „Ich kann Dich nicht mehr Heimat nennen“ (1990). Im Film begleitet die Regisseurin Róza Berger-Fiedler Yaakov Zur bei seinen ersten Besuchen in Rostock und seiner Wiederannäherung an seine Geburtsstadt. Im Anschluss wird es ein Gespräch mit der anwesenden Regisseurin geben.

Ort: Max-Samuel-Haus, Schillerplatz 10, 18055 Rostock
Zeit: Montag, den 29. April 2024 um 18.30 Uhr
Eintritt: 7 € (freier Eintritt bis 18 Jahre, für Student:innen mit AStA-Kulturticket und Mitglieder des Vereins der Freunde und Förderer des Max-Samuel-Hauses e.V.)